Holzminden (haa). Der Melder ertönt - auf dem Display erscheint die Meldung „Bootsunfall auf der Weser“. Es geht für die ehrenamtlichen Wasserretter zur Poller Fähre. Jetzt zählt jede Sekunde. Schnell werden die benötigten Sachen gepackt und ab ins Auto – der Weg führt nur in eine Richtung: zum DLRG-Bootshaus am Stahler Ufer in Holzminden. Am Treffpunkt läuft alles routiniert ab: Ausrüstung greifen, Westen anlegen, Lagebesprechung im Laufschritt. Niemand weiß genau, was am Einsatzort wartet. Eines ist jedoch sicher: Die Retter werden alles geben.
Die DLRG-Ortsgruppe Holzminden ist seit 1928 ehrenamtlich aktiv und zählt inzwischen rund 200 Mitglieder. Wer sich engagieren möchte, hat die breite Auswahl: Rettungsschwimmer, Einsatztaucher, Bootsführer und noch viel mehr– für fast jede Leidenschaft rund ums Wasser gibt es eine Aufgabe. Doch nicht nur Interesse und Können entscheiden, welchen Weg man einschlägt, auch die persönliche Belastbarkeit spielt eine entscheidende Rolle.
Wie in jeder Einsatzgruppe hinterlassen auch die Einsätze der DLRG Spuren bei den Rettern: „Manche Situationen bleiben im Gedächtnis“, sagt Holger Lüders, Erster Vorsitzender der Ortsgruppe. Auch das gehört zur Realität des Ehrenamts. Dennoch verlaufen die meisten Alarmierungen glimpflich. Besonders an der Poller Fähre, dem häufigsten Einsatzort, handelt es sich meist um kleinere Zwischenfälle. Doch auch die Suche nach vermissten Personen oder Einsätze bei suizidalen Notlagen gehören zum Aufgabenfeld der Retter.
Klimawandel und veränderte Einsatzszenarien
Der Klimawandel bringt für die ehrenamtlichen Helfer immer größere Herausforderungen mit sich. Hochwasserlagen und Großschadensereignisse haben sich dramatisch verschärft – und mit ihnen der Einsatzdruck. In besonders kritischen Fällen können sogar Landkreise aus anderen Bundesländern Unterstützung anfordern. Die Anfragen laufen über das Innenministerium, werden an das Bundeszentrum in Bad Nenndorf weitergeleitet und von dort aus an die entsprechenden Ortsgruppen verteilt. So kann es passieren, dass auch Einsätze in weiter entfernten Katastrophenregionen anstehen – wie etwa im Saarland im vergangenen Jahr.
„Heute sind die Hochwasserszenarien bedrohlicher als früher. Binnen weniger Stunden entstehen unwetterartige Zustände, wie es sie vor zehn Jahren in dieser Intensität noch nicht gab“, erklärt Lüders. Dank moderner Wettervorhersagen kann sich die Einsatztruppe zumindest teilweise auf Hochwasserlagen vorbereiten – und ist dann schnell zur Stelle, wenn es ernst wird. Wie essenziell diese Arbeit inzwischen geworden ist, zeigt sich gerade in solchen Momenten.
Unterstützung auch an Land
Die DLRG Holzminden ist nicht nur auf dem Wasser im Einsatz – auch an Land unterstützen die Ehrenamtlichen tatkräftig. Bei Großschadenslagen, etwa einem brennenden Seniorenheim, unterstützen sie regelmäßig den Rettungsdienst. Die DLRG Holzminden besetzt dabei mit Sanitätskräften ein extra dafür vorgehaltenes Fahrzeug. „Dann machen wir den „Hausmeister Krause“, sagt Lüders mit einem Schmunzeln – und meint damit: zupacken, wo es gebraucht wird.
Die DLRG-Retter übernehmen zahlreiche Aufgaben: Sie arbeitet der Feuerwehr zu, stellt Zelte zur Patientenversorgung auf und bringt medizinisches Material ein. Akute Notfälle behandelt die DLRG dabei nicht selbst – sie versteht sich in solchen Fällen als unterstützende Einheit unter der Leitung der primär zuständigen Einsatzkräfte. Dafür gibt es innerhalb der Ortsgruppe einen speziell geschulten Fachberater, der sich direkt mit dem Einsatzleiter abstimmt.
Nahezu alle aktiven Mitglieder sind ausgebildete Sanitäter. Die sanitätsdienstliche Grundausbildung ist fester Bestandteil der DLRG-Ausbildung – und eine wichtige Voraussetzung für viele Einsätze an Land und im Wasser.
Finanzielle Engpässe und Selbstfinanzierung
Eigentlich müsste die zunehmende Bedeutung der DLRG auch zu einer größeren finanziellen Unterstützung führen. Doch die Realität sieht meist anders aus. „Wir müssen oft genau überlegen, woher wir das Geld für Ausrüstung und Materialien bekommen“, sagt Stille. Die Einsatzkleidung? Privateigentum – von den Ehrenamtlichen selbst bezahlt. Zwar müsste diese rechtlich gestellt werden, doch dafür fehlen die Mittel. Ein Großteil der Ausrüstung wird aus Mitgliedsbeiträgen finanziert. Finanzielle Zuschüsse gibt es zwar, doch oft reichen sie nicht aus. Bei größeren Anschaffungen wendet sich der Verein regelmäßig an regionale Unternehmen.
Schwimmfähigkeiten und die Verantwortung der Eltern
Beim Schwimmtraining der Kinder zeigen sich im Vergleich zu früher deutliche Veränderungen: Motorik und Koordination sind bei vielen noch ausbaufähig. Diese Kinder benötigen besondere Aufmerksamkeit und gezielte Förderung. „Es gibt Kinder, die haben noch nie ein Schwimmbad von innen gesehen“, berichtet Kirsten Lüders, verantwortlich für das Anfängerschwimmen in der Ortsgruppe. Ein Hinweis darauf, dass dem Schwimmenlernen heute vielerorts nicht mehr der nötige Stellenwert eingeräumt wird. Laut einer DLRG-Studie aus dem Jahr 2022 können rund 20 Prozent der Kinder in Deutschland nicht sicher schwimmen. Die Ortsgruppe Holzminden leistet seinen Beitrag, um das zu ändern. Auch die Eltern stehen in der Verantwortung. „Nach jedem Schwimmkurs fordern wir sie auf, weiterhin mit ihren Kindern ins Schwimmbad zu gehen. Sonst verlernen sie das Erlernte schnell wieder“, betont Kirsten Lüders. Denn nicht nur die DLRG, auch die Familien müssen dazu beitragen, dass Kinder Sicherheit im Wasser gewinnen.
Stille ergänzt: „Im Moment gibt es nur ein funktionsfähiges Hallenbad im gesamten Landkreis Holzminden. Engpässe bei Hallenbädern spielen dabei also ebenfalls eine Rolle.“
Wenn ein Kind am Ende des Kurses kein Abzeichen erhält, liegt das nicht an den Ausbildern, sondern daran, dass das Kind noch nicht bereit ist. „Wir vergeben das Seepferdchen nicht aus Gefälligkeit. Schwimmenlernen braucht Zeit – und Übung“, so Kirsten Lüders.
40 Jahre ehrenamtliche Arbeit
Holger Lüders ist seit über 40 Jahren aktives Mitglied der DLRG. In dieser Zeit hat er zahlreiche Ausbildungen absolviert – heute ist er DLRG-Lehrtaucher, einer von nur 40 in ganz Niedersachsen. Seine ehrenamtliche Arbeit war von Anfang an zeitintensiv. Für Fortbildungen und Lehrgänge opferte er oft seine Wochenenden. Neben Beruf und Alltag lässt sich das Ehrenamt nicht immer leicht unterbringen. Mehrere Stunden pro Woche fließen in den Einsatzdienst und den Schwimmunterricht. „Manchmal fühlt es sich wie eine Pflichtaufgabe an“, sagt Lüders. „Aber wenn man in die strahlenden Augen der Kinder schaut, die stolz ihr Seepferdchen hochhalten, weiß man, wofür man das alles macht.“
Starke Gemeinschaft als Fundament
Ein guter Zusammenhalt innerhalb der Gruppe ist von großer Bedeutung. „Es hilft, wenn man sich gegenseitig kennt. Wenn wir uns beispielsweise abseilen müssen, ist es leichter, wenn man weiß, welche Stärken und Schwächen der andere hat“, meint Niko Stille, Zweiter Vorsitzender und stellvertretender Leiter der Öffentlichkeitsarbeit: „Wir verstehen uns sehr gut.“
Einmal im Monat trifft sich die Truppe im Bootshaus oder in der Zeppelinstraße, wo auch der große Tauch-Lkw stationiert ist. Themen sind Bootstechnik, Erste Hilfe und Rettungstechniken. Regelmäßig finden Einsatzübungen statt. Neue Technik spielt dabei eine immer größere Rolle – etwa die Unterwasserdrohne, die mit Sonar gezielt Strukturen und Objekte unter Wasser erkennen kann. Diese moderne Technik spart Zeit und Ressourcen, besonders bei großen Suchflächen. Taucher können so zielgenau an die richtige Stelle geschickt werden. Was die DLRG Holzminden auszeichnet, ist die starke Gemeinschaft. Ein Ereignis, das auch die Verbindung zwischen den verschiedenen Rettungsdiensten stärkt: der jährliche Blaulicht-Brunch. Hier kommen alle Einsatzkräfte zusammen – eine Gelegenheit, auch neue Gesichter kennenzulernen.
Die DLRG-Ortsgruppe Holzminden vereint vieles: Land und Wasser, Menschen und Bewegung, Ehrenamt und Pflichtbewusstsein. Die Retter erwarten nicht viel, sie freuen sich schon über einen Dank von außen. Die Bedeutung dieser Arbeit ist unbestreitbar – ein Gedanke, den man sich immer wieder vor Augen führen sollte, spätestens wenn man einem Retter in DLRG-Kleidung begegnet.
Hier könnt ihr die DLRG-Ortsgruppe Holzminden im Einsatz sehen: https://www.youtube.com/watch?v=heGfJ9tCl4E