Lüchtringen (TKu). Ganz genau 200 Jahre ist er alt, unser bislang düsterster und kälteste „Lost Place“: Ist es eine Höhle oder ein Tunnel? Nein! Es ist ein 200 Jahre alter Bier- und Eiskeller, der sich in Lüchtringen in der Gemarkung Gänseweide befindet und noch heute begehbar ist. Der Bier- und Eiskeller ist einer von ehemals zwei Eiskellern, die es in Lüchtringen einst gegeben hat und unser aktueller „Lost Place“ über den wir berichten. Ende vergangenen Jahres feierte das Bauwerk seinen 200. Geburtstag. Der runde Geburtstag und seine schöne Lage am Wanderweg oberhalb des Sportplatzes in Lüchtringen ist Grund genug, das sich der Heimat- und Verkehrsverein Lüchtringen (HVV) sich seiner angenommen hat. Zuletzt hat der HVV den Vorplatz mit massiven Tischen und Bänken aus Holz zum Verweilen verschönert. Das historische Bauwerk wird zwar mittlerweile im eigentlichen Sinne nicht mehr genutzt, ist aber inzwischen zu einem beliebten Ort zum Verweilen geworden und wenn auch nur auf der Durchreise von Lüchtringen in den Solling oder wieder zurück. „Vielen jungen Leute werden die Eiskeller von damals kein Begriff mehr sein“, meint der Lüchtringer Ortsheimatpfleger Erwin Winkler. Früher habe er als Kind hier Räuber Hotzenplotz gespielt und später auch seine Nachkommen. Der Ort hat etwas Anziehendes und etwas Mystisches zugleich. Früher habe es laut Winkler zwei Eiskeller in Lüchtringen gegeben. Der zweite Eiskeller am Allenberg sei aber irgendwann zugeschüttet worden, nachdem man ihn nicht mehr benötigt habe. Der Eiskeller in der Gemarkung Gänseweide diente früher zur Lagerung und Aufbewahrung von Natureis, welches übers Jahr zur Kühlung von Produkten benutzt wurde. In der Regel handelte es sich dabei um Bier.

Bis zum Anfang des 18. Jahrhunderts beschränkte sich die Nutzung der Eiskeller hierzulande auf die wohlhabende Bevölkerung. Eiskeller aus dieser Zeit standen daher überwiegend in der Nähe von Gutshäusern oder Schlössern. Der Bedarf an Kühlräumen wuchs erst mit dem Beginn der Industrialisierung in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts und in genau dieser Zeit entstand auch der Lüchtringer Bier- und Eiskeller. 1820 wurde der Eiskeller in der Gemarkung „Gänseweide“ fertiggestellt. Keine Brauerei sondern die Lüchtringer Gastwirte waren laut Erwin Winkler dessen Hauptnutzer. Das notwendige Eis für den Keller wurde im Winter vornehmlich aus dem nahegelegenen Teich entnommen. Das Eis hielt sich in dem Solling-Sandstein-Berg den gesamten Sommer lang und das Bier lagerte hier kühl und dunkel, wodurch es lange haltbar blieb. „Der Eiskeller steht offen. Durch eine Klappe, die heute nicht verschlossen ist, steigt man nach einem offenen 12 Meter langen Gang in den Berg hinein. Der Keller wurde so angelegt, dass die gesamte Tiefe inklusive Gang fast 60 Meter beträgt. Heute sind Bereiche des Kellers zugemauert“, erklärt Erwin Winkler. Im Keller-Inneren befindet sich in der Mitte auf dem Erdboden eine große Rinne, um das Schmelzwasser abzuleiten. Das Wasser versickerte in einem Teil der Rinne, da eine Öffnung nach Draußen zu einem Eintritt warmer Luftschichten geführt hätte und damit zum schnelleren Abschmelzen des Eises.

Der Eisraum war groß genug, um einen Vorrat an Eis bis zum nächsten Winter aufzubewahren. Um auch nach einem warmen Winter genügend Eis zu haben, wurde von Fachleuten damals empfohlen, einen Eisvorrat für zwei Jahre einzulagern. Nach warmen Wintern war es andernfalls erforderlich, Eis zu importieren, was über den Eiskeller in Lüchtringen aber nicht bekannt ist. Einer der größten Eisexporteure war damals Norwegen. Bevor im Winter das Eis eingebracht wurde, mussten sämtliche Türen des Eisraumes bei Frost geöffnet werden, so dass der Eisraum ausdünsten und abkühlen konnte. Die Eisstücke wurden dicht gelagert. Ein festes Zusammenfrieren der einzelnen Stücke konnte durch Aufschütten von etwas Salz auf jede Schicht erreicht werden. Mit der Einführung von Kältemaschinen Ende des 19. Jahrhunderts begann die Umstellung der Kühlung bei Großbetrieben und Brauereien. Kleinere Eiskeller wie der in Lüchtringen wurden aber weiterhin bis Mitte des 20. Jahrhunderts genutzt. In den 1960er Jahren wurden die ersten Tische und Bänke auf dem Vorplatz aufgestellt, womit die ersten Schritte für die Schaffung eines beliebten Ausflugsortes getan waren.

Fotos: Thomas Kube