Holzminden (haa). „Ein Lächeln reicht“, sagen Gretel Weber, Inge Hildebrandt und Evelyn Löwner, wenn die Senioren sie fragen, was ihre Arbeit sie kosten würde. Alle drei verbindet ihr soziales Engagement. Im ascleonCare Seniorenheim am Pipping bieten sie einmal im Monat ihre Nähdienste an – wie auch am vergangenen Mittwoch.
Vor 36 Jahren nahm der damalige Heimleiter des Seniorenheims Kontakt zu den Ehrenamtlichen des Deutschen Roten Kreuzes auf und bat sie, ihr Engagement auch in seiner Einrichtung einzubringen. Anfangs standen jedoch andere Aufgaben im Vordergrund: Von gemeinsamen Spaziergängen mit den Bewohnern bis hin zu offenen Gesprächskreisen – die ehrenamtlichen Frauen waren für die Unterhaltung und Begleitung der Senioren verantwortlich.
Dann entstand die Idee, eine ehrenamtliche Nähstube in der Pflegeeinrichtung anzubieten. Hier können die Bewohner den Frauen ihre beschädigten Kleidungsstücke überreichen, die sie anschließend „repariert“ zurückbekommen. Bis heute wird die Nähstube einmal im Monat im Eingangsbereich des Seniorenheims aufgebaut. „Für die Bewohner ist das sehr hilfreich – so müssen sie ihre Kleidung nicht erst in die Stadt bringen und können sich die anfallenden Kosten sparen“, betont die Ansprechpartnerin des Seniorenheims, Nicole Michelfelder. Für ihre Hilfsbereitschaft zeigen die Senioren den Frauen große Dankbarkeit.
Weber erzählt: „Wir werden jedes Mal freudig begrüßt, wenn wir das Heim betreten.“ Genau diese Freude sei für die Frauen die Motivation, sich ehrenamtlich zu engagieren. „Manchmal fragen uns die Bewohner, was sie uns schulden würden. Dann antworten wir immer: Ein Lächeln reicht“, so die 81-jährige. Das allein gebe ihnen so viel zurück, dass sie genau wüssten, wofür sie es tun. Während die Damen früher noch damit beschäftigt waren, vorschriftsmäßig Namensschilder an jedes Kleidungsstück zu nähen, sind es heute meist Socken oder Hosen, die enger oder weiter gemacht werden. Ein Bewohner meint: „Es ist einfach schön, dass die Frauen da sind. Ich wüsste sonst gar nicht, wohin mit meinen Sachen.“
Doch das Ehrenamt ist nicht nur von positiven Aspekten geprägt. Es kommt immer wieder vor, dass sich die Damen noch mit einem Bewohner unterhalten – und dieser in der Zeit bis zum nächsten Nähstuben-Termin verstirbt. „Der Name steht dann auf einer Liste, die wir uns bei jedem Besuch anschauen“, berichtet Weber. Das sei nicht immer leicht. Doch durch ihre langjährige Erfahrung habe sie eine gewisse Distanz entwickelt, die es ihr ermögliche, solche Erlebnisse nicht zu sehr an sich heranzulassen. Seit 46 Jahren engagiert sie sich ehrenamtlich. Der Kern des Teams sei über diese lange Zeit gleichgeblieben, wodurch sich auch Freundschaften entwickelten. Weber war früher immer die Jüngste, während die anderen Damen schon ein Stück älter waren. Aufgrund dieses Alters seien manche ihrer Kolleginnen ausgefallen oder verstorben – fünf von ihnen.
Die Frauen haben den Eindruck, dass die heutige Gesellschaft egoistischer sei als früher. Hilfsbereitschaft werde nicht mehr so großgeschrieben – jeder denke eher an sich. Auf die Frage, wie sie das Ehrenamt für andere schmackhaft machen würden, antwortet Weber: „Das ist schwer zu sagen. Ich glaube, das muss man in sich drin haben.“ Dass heute weniger Menschen ehrenamtlich tätig sind, erklären die Frauen auch mit den gesellschaftlichen Veränderungen. Heutzutage seien viele Frauen – anders als früher – berufstätig, weshalb ihnen die Zeit für ein Ehrenamt natürlich fehle.
Löwner war schon lange Mitglied des Deutschen Roten Kreuzes, bevor sie vor sechs Jahren anfing, ehrenamtlich im Seniorenheim zu arbeiten. Hildebrandt hat sich vor rund 13 Jahren der Nähstube angeschlossen, war jedoch bereits zuvor ehrenamtlich tätig. Gemeinsam mit Weber erhielt sie bei der Jahreshauptversammlung des DRK-Kreisverbands im Jahr 2014 eine Medaille für ihre sozialen Dienste. Auf der Rückseite der Medaille stehen die Worte „Für besondere Leistungen in der Sozialen Arbeit“.
Das liegt jedoch bereits elf Jahre zurück und war eine einmalige Anerkennungsaktion. Heute weiß kaum ein Holzmindener von dem ehrenamtlichen Engagement Bescheid. Laut Michelfelder muss dieser Arbeit deutlich mehr Aufmerksamkeit und Wertschätzung entgegengebracht werden. „Wir sind im Hintergrund tätig“, sagen die Frauen über ihre Rolle. Weber selbst lege nicht viel Wert auf Anerkennung. „Ich bin niemand, der sich zur Schau stellen muss. Manchmal denke ich, andere tun noch mehr“, sagt Weber bescheiden. Michelfelder sieht das etwas anders: „Für diese jahrzehntelange ehrenamtliche Arbeit darf man sich aber durchaus auch mal anerkennen lassen.“ Sie veranstaltet einmal im Jahr ein Kaffeetrinken für die ehrenamtlichen Helfer, bei dem sie eine kleine Aufmerksamkeit erhalten. Für die Ehrenamtlichen ist das eine Form der Wertschätzung, über die sie sich sehr freuen – für Michelfelder eine Selbstverständlichkeit. Aktuell sind acht Ehrenamtliche regelmäßig im Seniorenheim tätig, zum Beispiel im Kiosk des Heims oder beim Ostereier-Bemalen, das am Mittwoch stattfand. Das Seniorenheim organisiert immer wieder Veranstaltungen und Aktionen, an denen die Bewohner teilnehmen können. Letztes Jahr feierten sie das Weinfest, und in diesem Jahr steht das Oktoberfest auf dem Programm. Auch beim diesjährigen Karneval herrschte gute Stimmung. Es wurde sogar getanzt und gesungen.
„Das Seniorenheim ist kein trister Ort. Viele haben eine Scheu vor solchen Einrichtungen. Doch hier wird gelacht und gefeiert. Es ist nicht nur die letzte Station des Lebens – es ist ein lebendiger Ort, an dem viele Menschen zusammenkommen, die ihr Leben noch genießen wollen“, schildert Michelfelder. Auch aus diesem Grund sei die Unterstützung der Ehrenämtler an der Organisation und Durchführung der Veranstaltungen von großer Bedeutung. Das Ehrenamt sei ihrer Meinung nach sehr vielfältig und bereichernd, auch Weber bestätigt diesen Eindruck: „Ich habe so vieles erlebt und so viele Menschen kennengelernt. Ich bereue diese Zeit nicht. Ganz im Gegenteil.“