Hildesheim/Holzminden (red). Prof. Dr. Leonie Wagner ist für ihr Forschungsprojekt „Jenseits der Gläsernen Decke – Professorinnen zwischen Anerkennung und Marginalisierung“ mit dem Preis für Genderforschung HAWK 2022 ausgezeichnet worden. Die Preisverleihung fand im Rahmen der Feier „30 Jahre Gleichstellungsbüro“ vor rund 80 Gästen in der Aula am Hohnsen in Hildesheim statt. Auszeichnungen erhielten zudem zwei innovative Lehrkonzepte sowie drei Abschlussarbeiten. Die Preise wurden zum ersten Mal vergeben.
Als Gläserne Decke wird sinnbildlich eine nicht sichtbare Barriere bezeichnet, mit der Frauen im Karriereverlauf trotz hoher Qualifikation häufig dann konfrontiert sind, wenn sie aufsteigen wollen, während männliche Kollegen mit vergleichbarer Qualifikation dieser Aufstieg in der Regel 'gelingt'. Das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderte Forschungsprojekt von Prof. Dr. Leonie Wagner bezieht sich auf Professorinnen, die die Gläserne Decke mit ihrer Position vermeintlich durchstoßen haben, aber immer noch geschlechterbasierte Ungleichheit erfahren. Leonie Wagner ist Professorin für Pädagogik und Soziale Arbeit am HAWK-Standort Holzminden.
„Das Projekt ‚Jenseits der Gläsernen Decke‘ widmet sich ganz expliziter, fortwährend bestehender geschlechterbasierter Ungleichheit in Hochschulen und bildet damit einen originären geschlechtertheoretischen Zugang in der Forschung. Durch die Analyse des Geschlechterverhältnisses wird ausgesprochen deutlich, inwiefern Professorinnen und Professoren in sehr ungleicher Weise von Ressourcen, Teilnahme und Macht profitieren und dies auch jenseits der, wie die Studie titelt, gläsernen Decke“, sagte Jurymitglied Prof. Dr. Anja Henningsen, Professorin für Soziale Arbeit mit dem Schwerpunkt Geschlechterkompetenzen und Diversität an der Fachhochschule Kiel.
In der Kategorie „Forschungsbasiertes Lehrkonzept“ gibt es zwei Preisträgerinnen: Dr. Bianka Wachtlin ist Verwaltungsprofessorin für den Bachelorstudiengang Ergotherapie, Logopädie, Physiotherapie. Sie konnte, zusammen mit ihren beiden Mitarbeiterinnen Jessica Ozimek und Franziska Zimmermann, eine Auszeichnung für ihr Lehrkonzept mit dem Thema „Videochannel zur Professionalisierung und Geschichte der Logopädie in Deutschland – ein fakultätsübergreifendes Projekt zwischen Gesundheit und Gestaltung“ entgegennehmen. Gemeinsam mit Studierenden führt sie Interviews mit Zeitzeuginnen zu Ausbildung und Berufstätigkeit in der Logopädie in der Zeit zwischen 1964 und 2020. Ein besonderer Fokus liegt dabei auf dem Einfluss von Geschlechterrollen in einem Beruf, der von Anfang an vorwiegend von Frauen ausgeübt wurde. Langfristig sollen die Interviews auf einem Videochannel veröffentlicht werden.
Die zweite Ehrung in dieser Kategorie ging an Kristin Escher, Lehrkraft für besondere Aufgaben (LfbA) im Studiengang Soziale Arbeit an der HAWK in Holzminden. In ihrem Lehrkonzept zum Thema „Gender at Work and Work at Gender: Soziale Arbeit und Geschlecht“ verbindet sie Grundlagentexte der sozial- und erziehungswissenschaftlichen Geschlechterforschung mit Übungen aus dem Bereich des Gender- und Diversity-Trainings. „Beide Einreichungen haben uns sehr überzeugt“, erklärt Jurymitglied Prof. Dr. Britta Hoffarth, Professorin für Gender- und Bildungsforschung an der Universität Hildesheim. Die Konzepte seien innovativ, anregend und würden weitere Forschung möglich machen.
Auch drei Bachelorabsolventinnen konnten sich über eine Auszeichnung freuen. Den ersten Platz in der Kategorie „Bachelor- und Masterarbeiten“ erreichte Laura Biehl für ihre Thesis im Bachelorstudiengang Gestaltung, Kompetenzfeld Grafikdesign. In ihrer Arbeit „More risk than fun – 60 Jahre Pille in Deutschland“ setzte sie sich kritisch mit den Vor- und Nachteilen der Antibabypille auseinander und gestaltete Aufklärungsmaterial, um Frauen bei einer informierten Entscheidung zu helfen. „Das ermöglicht auch die sehr zugängliche gestalterische Umsetzung des Themas“, betont Jurymitglied Prof. Dr. Simon Dickel, Professor für Gender und Diversity in Forschung und Lehre an der Folkwang Universität der Künste in Essen.
Den zweiten Platz belegten gemeinsam Franziska Mertens und Britta Hofmann. Franziska Mertens hat ihren Abschluss ebenfalls im Bachelorstudiengang Gestaltung, Kompetenzfeld Grafikdesign gemacht. In ihrer Thesis beschäftigte sie sich mit verbaler sexueller Belästigung und toxischer Männlichkeit. Unter dem Titel „Macht doch nichts?“ hat sie das Thema grafisch und schriftlich aufbereitet. „Die Arbeit setzt sich auf vielschichtige Weise mit gesellschaftlichen Machtverhältnissen auseinander. Und die gestalterische Umsetzung, die auch manchmal etwas experimentell ist, ermutigt die Lesenden zu entschlossenem politischen Handeln“, so Dickel.
Britta Hofmann ist Absolventin des Bachelorstudiengangs Soziale Arbeit an der HAWK in Hildesheim und konnte mit ihrer Bachelorarbeit zum Thema „Nur ein Que(e)rverweis? Gendersensible Perspektiven der Offenen Kinder- und Jugendarbeit“ die Jury überzeugen. „Sie setzt sich auf eindrucksvolle Weise mit dem aktuellen Forschungsstand in Gender- und Queer-Studies auseinander und macht diese Felder für die offene Kinder- und Jugendarbeit produktiv“, lobt Dickel die Thesis.
„Wir möchten mit der Preisverleihung die Genderforschung an der HAWK in den einzelnen Fachdisziplinen sowie fachübergreifend fördern und sichtbar machen“, erklärt Nicola Hille, hauptberufliche Gleichstellungsbeauftragte der HAWK. Der HAWK-Preis für Genderforschung ist eine Initiative der Gleichstellungsbeauftragten und soll in Zukunft jährlich verliehen werden.
Der HAWK-Preis für Genderforschung
Der Preis würdigt die wissenschaftliche und gesellschaftliche Relevanz von Forschungs- und Lehrkonzepten mit Geschlechterbezug. Er richtet das Augenmerk auf innovative Ansätze und Fragestellungen für die Forschung und Lehre sowie die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses. Die Preisgelder können zur Fortsetzung der wissenschaftlichen Arbeit, zur Unterstützung von Publikationen oder zur Einstellung von studentischen Hilfskräften für die Umsetzung von Lehrkonzepten eingesetzt werden. Über die Vergabe der Preise hat eine Auswahljury entschieden, bestehend aus drei externen Gutachtenden und zwei beratenden internen Mitgliedern der HAWK.
Forschungsprojekt „Jenseits der Gläsernen Decke“
Leonie Wagner, Tanja Paulitz, Anne Dölemeyer & Johannes Fousse: Jenseits der Gläsernen Decke. Professorinnen zwischen Anerkennung und Marginalisierung. Handreichung für Gleichstellungs- und Hochschulpolitik. Darmstadt/Holzminden 2021; https://academicaprojektde.files.wordpress.com/2021/12/handreichung-jenseits-der-glaesernen-decke.pdf
Fotos: HAWK