Holzminden (my). Sie sind die Chefs in den Kreißsälen, denn in Deutschland gibt es keine Geburt ohne Hebamme. In 21 Jahren hat Kathrin Wolter viel erlebt und teilt in unserer heutigen Ausgabe ihre spannendsten und lustigsten, aber auch besonders traurigen Momente. Sie arbeitet im Agaplesion Krankenhaus Holzminden und in der Hebammenpraxis Luna in Einbeck. Unsere freie Autorin Melike Yasaroglu hat sie auf einen Kaffee besucht und intime Einblicke in einen der ältesten Berufe der Welt erhalten.

Wo habe ich Kathrin wohl kennengelernt? Klar, im Kreißsaal. Ja, wir haben tatsächlich schon gemeinsam ein Kind zur Welt gebracht. Vor vier Wochen ist meine Schwester zum ersten Mal Mutter geworden und war ich bei der Geburt meines kleinen Neffen dabei. Stundenlang konnte ich Kathrin dabei beobachten, wie sie gute Stimmung verbreitete, den werdenden Vater sowie die besorgten Tanten beruhigte und auf jede noch so banale Frage eine passende, liebevolle Antwort fand. Sie hatte im Kreißsaal das Sagen und hat es geschafft, uns allen unsere Ängste zu nehmen und die werdende Mutter zu motivieren. Diese Frau musste ich interviewen.

In ihren ersten Berufsjahren hat sie noch jede Geburt in einem Büchlein vermerkt, doch irgendwann hat sie es aufgegeben. Wenn sie die Zahl heute im Kopf überschlägt, kommt sie auf rund 700 Kinder, denen sie auf die Welt geholfen hat. Einige besonders skurrile Szenen wird sie wohl nie vergessen: Kathrin erzählt mir von einer jungen Frau, die in den Wehen lag. Ihr Freund sollte später noch dazukommen. Der Mann kam auch, allerdings zusammen mit einer weiteren Frau – diese entpuppte sich später als die betrogene Ehefrau. Sie wollte unbedingt bei der Geburt dabei sein.

Oder auch die Geschichte eines liebevollen und fürsorglichen Ehemannes, der sich im Kreißsaal um seine Frau kümmern wollte und es wohl bitter bereut hat: „Er streichelte seine Frau und sagte ständig ‚Mon Chérie‘. Die Frau antwortete ‚Es hat sich aus-ché-riet‘ und gab dem Mann eine saftige Ohrfeige“, erinnert sich die Hebamme und kann ihr Lachen nicht unterdrücken. Aber auch Geburten, die zu einem Familienereignis gemacht werden, hat die Hebamme schon erlebt. Dafür wurden Videostative aufgebaut; Cousins, Onkels und Kinder liefen bei der Geburt aufgeregt im Kreißsaal umher. Gestört hat das Kathrin nie: „Es ist ihre Geburt und ihr Ereignis, daraus können die Frauen machen, was immer sie wollen.“ Eins ist Kathrins Erfahrungen nach fast bei jeder Geburt gleich. Sobald die Kinder auf der Welt sind, weinen die Männer zuerst und auch mehr als die meisten Frauen. „Von ihnen fällt der Druck ab. Meistens haben sie stundenlang dabei gesessen und konnten kaum etwas für ihre Frauen tun“, erklärt sie.

Entspannt und zeitgleich ungemein energiegeladen, liebevoll und einfühlsam, quirlig und auch beruhigend, fast mütterlich – es fällt mir schwer, den Charakter der 44-Jährigen mit wenigen Worten zu beschreiben. Aber vor allem ist es nicht zu übersehen, wie gerne und leidenschaftlich sie ihren Beruf ausübt, obwohl sich die Arbeitsbedingungen massiv verändert haben. Als sie sich Anfang der 90er Jahre um ihre Ausbildung bewarb, kamen noch 600 Bewerber auf zwölf Stellen. Heute mangelt es der Branche an Nachwuchskräften, nicht zuletzt wegen der schlechten Bezahlung. „Es gibt Kolleginnen, die nicht einmal für den Mindestlohn arbeiten“, berichtet Kathrin, die bis Mai kommenden Jahres komplett ausgebucht ist. Sie empfiehlt schwangeren Frauen, sich schnellstmöglich um eine Hebamme für die Geburt und die Nachsorge zu suchen: „Sobald der Test positiv ist, sollte man sich darum kümmern“, betont sie.

Drei- bis fünfmal im Jahr gehört es auch zu ihren Aufgaben, Tot- oder Fehlgeburten zu begleiten. Manchmal kommen Frauen mit Wehen ins Krankenhaus, erwarten freudig die Geburt, doch bei der Untersuchung kann die Hebamme keine Herztöne feststellen. „Dieser Moment ist schrecklich“, gibt sie zu und erzählt, wie sie den Frauen dennoch bei der Geburt ihres toten Kindes helfen muss. Die Kinderkrankenschwestern im Holzmindener Krankenhaus stricken winzig kleine Anziehsachen für die „kleinen Menschenkinder“, wie Kathrin sie nennt, und die Hebammen helfen den verwaisten Eltern zum Beispiel, die Särge zu bemalen. „Es ist unsere Aufgabe, auch diesen Prozess würdevoll zu begleiten“, sagt sie.

Schwere, schnelle, hysterische Geburten hat Kathrin schon erlebt, doch jede ist auf ihre eigene Art schön. „Wenn die Mütter strahlend ihre Kinder im Arm halten, dann ist alles gut“, beschreibt sie lächelnd den Moment, der für sie auch nach 21 Jahren noch immer das Magischste an ihrem Beruf ist.

Von spannenden Berufen bis zu interessanten Persönlichkeiten – „Auf einen Kaffee mit…“ macht zweimal im Monat Platz für Gespräche. Wenn Sie jemanden im Kopf haben, über den Sie gerne mehr erfahren möchten, mailen Sie uns gerne an Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!. Die nächste Folge lesen Sie am 29. Oktober 2017.